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Interview mit Demenz-Expertin Annette Hakes

Anlässlich des Welt-Alzheimertages am 21. September haben wir uns mit der Demenz-Expertin Annette Hakes getroffen. Als erfahrene Beraterin, Trauerbegleiterin und Hypnosetherapeutin ist sie die perfekte Ansprechpartnerin für alle, die tagtäglich mit der Pflege von Demenzkranken konfrontiert sind. In unserem Interview verrät sie etwas über sich, ihre Arbeit, welche Tricks und Hilfsmittel den Alltag erleichtern, wie man Krisen meistert und die Balance zwischen Pflege und Selbstfürsorge findet. Lassen Sie sich inspirieren und erfahren Sie wertvolle Tipps aus erster Hand.

 

Bild: Annette Hakes von das leere Sofa im Gespräch mit Hausengel.

Annette Hakes, Demenzexpertin, lächelt in die Kamera

Hausengel: Frau Hakes, Sie sind Demenz-Spezialistin, Trauerbegleiterin und Hypnosetherapeutin. Was hat Sie dazu bewegt, sich auf diese Themen zu spezialisieren?

Annette Hakes: “Am Ende waren die Übergänge fließend, aber alles begann mit der Ausbildung zur Sterbe- und Trauerbegleitung. Ich wusste, dass der Tag des Abschieds meiner Eltern kommen würde und ich wollte vorbereitet sein. In meinen ehrenamtlichen Einsätzen, die darauf folgten, war ich dann sehr häufig in Seniorenheimen. Dort wurde mir die Situation der Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen äußerst bewusst. So war eine Ausbildung zur Betreuungsassistentin und Seelsorgerin für mich ein logischer Schritt. Eine Tätigkeit als Hypnosetherapeutin war für mich ein langgehegter Traum. Schon immer war ich davon fasziniert und seit meiner Ausbildung weiß ich nun genau, wie gut sie helfen kann. Speziell in der Trauerbegleitung, wo wir doch, statt loszulassen, lieber einen Platz in unserem Leben für den Verstorbenen finden sollen.”

Hausengel: Was sind die häufigsten Herausforderungen, denen pflegende Angehörige im Umgang mit Demenz begegnen?

Annette Hakes: "Aus meiner Sicht ist die größte Herausforderung eines pflegenden Angehörigen erst einmal die Akzeptanz, dass dieser geliebte Mensch, sich in seiner Persönlichkeit verändern wird – oder sich schon verändert hat. Angehörige halten gerne das Bild fest, welches sie von der Person im Kopf haben. Dabei wäre es hilfreicher sich auf die neue Person einzulassen, die mit der Krankheit nun in Erscheinung tritt. 
Die nächst größere Herausforderung ist dann sicher, die Planung der Tage, Wochen, Monate, Jahre. Wer macht wann was? Wo bekomme ich Hilfe? Welche finanziellen Mittel stehen mir zur Verfügung? Das sind nur einige Fragen, die schon beim Nachdenken darüber Kopfschmerzen machen. Und ein pflegender Angehöriger hat neben den organisatorischen Fragen eben auch die emotionale Last durch die neue Lebenssituation zu tragen. Schließlich ist abzusehen, dass der geliebte Mensch die Selbstständigkeit verlieren wird. Mit dieser Sorge und der schwierigen Planung der Zukunft fühlen sich die meisten  überfordert und alleine gelassen. Und die drittgrößte Herausforderung ist, dass wir in unserer Gesellschaft die dementielle Erkrankung immer noch sehr verstecken. Jeder möchte davon verschont bleiben, weil sehr viele unschöne Geschichten kursieren. Das Interesse für die liebevollen und schönen Geschichten ist dagegen eher gering. Pflegende Angehörige fühlen sich alleine und deshalb schon an den Rand der Gesellschaft gedrückt."


Hausengel: Wie können Angehörige frühzeitig erkennen, wann es Zeit ist, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen?

Annette Hakes: "Das ist eine wirklich interessante Frage. Ich kann verstehen, dass man innerhalb der Familie erst einmal der Meinung ist, zu wissen, was nun das Beste wäre und sich nicht gleich nach der Diagnose schon mit einer Demenzbetreuung auseinandersetzen möchte. Und es kommt sicherlich auch auf den Zeitpunkt der Diagnose an. Wird die Erkrankung noch sehr früh erkannt oder befindet sich der Betroffene schon in einem fortgeschrittenen Demenz-Stadium?
Aber ehrlich gesagt, sind es gerade die vielen Fragen, die im Raum stehen die, die man schon gleich nach der Diagnose klären kann. Mit professioneller Hilfe bekommt man schneller einen Überblick darüber, was wann genau zu tun ist und somit am besten für unseren lieben Menschen mit Demenz. Grundlegend sollte betrachtet werden: Welche Diagnose haben wir hier genau? Mit welchen Veränderungen müssen wir wann rechnen? Was kann ich schon als Hilfe in den momentanen Alltag einbauen? Es kann hilfreich sein, sich z.B. mit neuen technischen Hilfsmitteln vertraut zu machen, wie Sprachassistenten. Damit dann bei einem späteren notwendigen Einsatz der erkrankten Person die Handhabung leichter fällt.
Also aus meiner Sicht ist hier die klare Antwort: Je früher, desto besser."

Hausengel: Welche Strategien empfehlen Sie, um den Alltag für Menschen mit Demenz zu strukturieren?

Annette Hakes: “Ich würde mich direkt nach der Diagnose mit meinem Angehörigen hinsetzen und einen genauen Tagesplan aufstellen. Dieser sollte aber wirklich bis ins aller kleinste und sehr genau sein. Keine ungefähren Angaben und auch alle Bedürfnisse sollten abgeklärt werden. Ab dem Moment sollte dann nach dem Plan gelebt werden. Die zugehörigen Handgriffe und Aufgaben  sollten natürlich so lange wie möglich selbstständig durchgeführt werden. Erst wenn Angehörige merken, jetzt ist er oder sie ans  Limit angekommen, sollte Unterstützung angeboten werden. Wichtig ist zu wissen, dass Alles, was unser lieber Mensch mit Demenz verinnerlicht hat, er oder sie in der fortschreitenden Demenz abrufen kann.”

Hausengel: Was sind Ihre Tipps, um emotionale Überlastung und Schuldgefühle bei pflegenden Angehörigen zu vermeiden?

Annette Hakes: "Diese zwei Aspekte zählen sicherlich zu den größten Herausforderungen für die pflegenden Angehörigen. Sie sind nah am Geschehen, denn sie teilen mit dem geliebten Menschen eine Vergangenheit. Daraus ergibt sich ein klares Bild von ihrer Mutter/Ehefrau oder ihrem Vater/Ehemann. 
Dass Eltern aber auch einmal jung und herausfordernd waren (z.B. Pubertät) ist den Kindern häufig nicht bewusst. Das bringt sie, aus meiner Sicht, häufig zu der emotionalen Überlastung. Mama oder Papa sind nun eben nicht mehr diejenigen, an die man sich sein ganzes Leben vorher anlehnen konnte. In der Demenz wird so manch seriöser Familienvater wieder zu einem rebellischen Jugendlichen, der gerne jungen Damen hinterherschaut. Das ist kein seltenes Phänomen. 
Das gleiche gilt dann auch für die Ehepartnerin und den Ehepartner. Denn aus einem Gleichgewicht in der Partnerschaft wird ein Ungleichgewicht. Einer von Beiden wird den versorgenden Part übernehmen und der langjährige Partner ist nicht mehr da, sondern ein hilfsbedürftiger Partner. Das verändert alles.
Schuldgefühle treten häufig mit einer Überforderung durch die Situation auf. Man dreht sich im Kreis und die Erkrankung scheint das ganze Leben zu beherrschen.
Vorbeugen könnte man, indem man sich wirklich frühzeitig Gedanken macht und die nächsten Fragen ohne Kompromisse beantwortet:
Gibt es alle Unterlagen – von Pflegevollmacht bis Testament? 
Bis wohin kann ich gehen, bzw. was sind meine Grenzen? 
Was traue ich mir zu (wie Grundpflege oder auch Toilettengänge)? 
Möchte ich später eine Hilfe zu Hause haben, oder doch lieber der Aufenthalt in einem Seniorenheim?
Wenn man sich diesen unliebsamen Fragen stellt und diese ehrlich beantwortet, kann man seinen evtl. aufkommenden Schuldgefühlen gleich schon eine Gedankenbremse verpassen. Und wenn man schon mitten im Geschehen ist, dann hilft wirklich der Austausch mit anderen. Es gibt viele Selbsthilfegruppen, vor Ort oder auch online. Hier ist die Möglichkeit eines Austausches gegeben. Und dann sieht man sehr schnell: Ich bin nicht alleine. Anderen Angehörigen geht es genauso. Geteiltes Leid ist halbes Leid.
Wichtig ist: Immer wieder sich selbst hinterfragen und wenn Hilfe nötig ist, dann auch suchen und annehmen!"

Hausengel: Wie sieht Ihrer Meinung nach die ideale Versorgung eines Demenzkranken im häuslichen Umfeld aus?

Annette Hakes: “Zu einer idealen Versorgung gehört nicht nur die Pflegeorganisation. Auch die psychosoziale Betreuung ist extrem wichtig für einen Menschen mit Demenz und sollte nicht vergessen werden. Solange dieser noch recht selbstständig durch sein Leben geht und Treffen mit Freunden und Hobbies wahrnimmt, sollte man nicht viel eingreifen. Geht es aber irgendwann darum, dass es im häuslichen Rahmen immer schwieriger wird,  dann sollte man beginnen eine geeignete Person zu finden, die ein kompetenter Ansprechpartner für alle sein kann. Das kann eben eine stundenweise Betreuung sein (zur Entlastung des pflegenden Angehörigen), die mit gezielten Aktivitäten den Demenzkranken noch ein wenig fordert. Oder eben auch eine 24/7 Betreuungskraft, die permanent vor Ort ist und alle Beteiligten so unterstützen kann.”

Menschen wie Annette Hakes, die sich intensiv mit Demenz und der Begleitung von Betroffenen und Angehörigen auseinandersetzen, leisten einen unverzichtbaren Beitrag. Sie helfen dabei, die oft unsichtbaren Herausforderungen im Pflegealltag zu bewältigen und geben Orientierung in schwierigen Zeiten.
Wenn Sie mehr über Frau Hakes erfahren oder sich mit ihrer inspirierenden Arbeit auseinandersetzen möchten, besuchen Sie ihre Website Das leere Sofa oder folgen Sie ihr auf Instagram, um Einblicke in ihre wertvolle Tätigkeit zu erhalten.

 

 

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